Zum 17. Juni 1953

Vor 70 Jahren gab es in der DDR eine Revolution, die von sowjetischen Panzern niedergeschlagen wurde.
Die Entstehung der DDR war vorgezeichnet. Stalin äußerte eindeutig: „wer immer ein Gebiet besetzt, erlegt ihm auch sein gesellschaftliches System auf…Es kann gar nicht anders sein.“ Und deswegen konnte es nicht anders kommen, als es kam mit der Gründung der kommunistischen DDR.
Deutsche Helfer hatte Stalin genug. Bereits 1924 hatte sich die Kommunistische Partei Deutschlands der KPDSU in Moskau unterstellt und führte deren Weisungen aus. Einer der wichtigsten Stalinisten war damals Ernst Thälmann, nach dem noch heute viele Straßen im Osten Deutschland benannt sind. Viele Kommunisten verbrachten die NS-Zeit in der Sowjetunion. Auch von ihnen wurden viele in den Säuberungen des Stalinismus ermordet. Wer übrig blieb, hatte denunziert – auch um selber zu überleben. Dazu gehörte der größte Teil der DDR-Führungsriege, darunter Walter Ulbricht und Wilhelm Pieck, übrigens auch der spätere SPD-Mann Herbert Wehner, der sich dann für einen anderen Weg entschied.
Der massenmörderische Stalinismus war stets Teil der DDR-DNA. Zwischen 1950 und 1953 wurden Tausende wahre oder vermeintliche Gegner des SED-Regimes von der Stasi verhaftet und nach Moskau verbracht. Rund tausend wurden in Moskau durch Genickschuss exekutiert, die anderen verbrachten Jahre im Gulag. Wenn man die „übliche“ Todesrate von 20% ansetzt, sind weitere tausend Opfer zu vermerken. Die Angehörigen erhielten über Jahre keinerlei Information über das Schicksal ihrer Lieben.
Die SED setzte die Weisungen Stalins um, etablierte die kommunistische Diktatur ein, schaltete die Opposition aus oder gleich, manipulierte die Wahlen, verstaatlichte die Industrie, zwang die Bauern in die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, trieb Handwerk und Mittelstand in den Ruin oder in die Emigration. Doch der erhoffte wirtschaftliche Erfolg blieb aus. Daher erhöhte die SED-Führung im Frühjahr 1953 die Arbeitsnormen, also den Akkord, um 10% – bei gleichem Lohn. Einige Wochen zuvor war Stalin gestorben. Die Empörung über die Erhöhung der Normen und die vermutete Schwächung des Regimes durch Stalins Tod ließ die frustierten Arbeiter Mut fassen.
Der Historiker Hubertus Knabe schreibt: „Sie streikten, zuerst in Ostberlin dann in vielen Städten überall in der DDR.Die SED war von den Ereignissen völlig überrumpelt worden, ihr Sicherheitsapparat hatte auf ganzer Linie versagt. Auch die Funktionäre waren verunsichert, nachdem die SED-Spitze wenige Tage vorher einen „Neuen Kurs“ verkündet hatte, der die Politik des „planmäßigen Aufbaus des Sozialismus“ abrupt beendete. Selbst im Politbüro regte sich Kritik an der dogmatischen Politik von Parteichef Walter Ulbricht. Die sowjetische Führung hingegen war mit dem Kampf um die Nachfolge des im März verstorbenen Diktators Josef Stalins beschäftigt und debattierte über ein neues Angebot an die Westmächte zur Wiedervereinigung Deutschlands …. Tausende hatten sich ihnen (den Massenstreiks) unterwegs angeschlossen. Weil Ulbricht und Grotewohl es ablehnten, mit ihnen zu sprechen, hatte ein Maurer spontan zum Generalstreik aufgerufen – mit unerwarteten Folgen: In Hunderten von Ortschaften kam es zeitgleich zu Streiks und Demonstrationen.

Mehr als eine Million Menschen gingen spontan auf die Straße, mindestens 600 Betriebe traten in den Streik. In zahlreichen Städten, besonders im Süden und Osten der DDR, stürmten Demonstranten die lokalen Machtzentralen. Innerhalb weniger Stunden wurden insgesamt 140 Partei- oder Verwaltungsobjekte besetzt und aus einem Dutzend Gefängnissen fast 1400 Häftlinge befreit. Hätte die sowjetische Führung nicht den Ausnahmezustand verhängt und den Aufstand mit 16 Divisionen ihrer in Deutschland stationierten Truppen niederschlagen lassen, wäre die SED schon 1953 gestürzt worden.“

Was als Arbeiteraufstand begann, wurde zum Volksaufstand und zum Kampf um Demokratie und Freiheit. In vielen Orten der DDR hatte die SED am 17. Juni die Macht für Stunden verloren. Doch als die sowjetischen Panzer rollten, war der Aufstand zum Scheitern bestimmt. Das war übrigens der Unterschied zu 1989. Gorbatschow wollte das Sowjetsystem nicht abschaffen (sondern reformieren). Seine historische Leistung war, dass er keine Gewalt einsetzte, um dessen Untergang zu verhindern.

Selbstredend wurde in der DDR der Aufstand kleingeredet und als von außen initiierter faschistischer Aufstand dargestellt. Viele Intellektuelle leisteten dazu ihren Beitrag. Als Beispiel sei Bert Brecht erwähnt. Zynisch erklärte er in Solidaritätsadressen an die SED-Führung und sowjetische Funktionäre seine „Verbundenheit mit der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands“ und fabulierte: „Organisierte faschistische Elemente versuchten, diese Unzufriedenheit für ihre blutigen Zwecke zu missbrauchen.“. Bei dieser Haltung war es keine Überraschung, dass er 1955 den „Stalin-Friedenspreis“ annahm. Die Unzufriedenheit in der DDR führte zur „Abstimmung mit Füßen“. Hunderttausende gingen in den Westen. Um die Massenflucht zu stoppen, ließ das SED-Regime später die Mauer bauen und an der Grenze Flüchtlinge erschießen.

In Westdeutschland wurde der 17. Juni zum Nationalfeiertag gemacht. Doch im Lauf der Jahre verblasste die Erinnerung. Der Wunsch auf die Wiedervereinigung wurde für viele zur „Lebenslüge“ der Bundesrepublik. Die – an und für sich richtige – Entspannungspolitik von Brandt und Scheel ließ viele westliche Politiker jegliche Opposition in der DDR als lästige Störung der Beziehung zur DDR-Spitze werden. Dies galt sowohl für den 17. Juni als für auch die damals aktuelle DDR-Opposition. Die westdeutschen Bundesländer ließen die Untaten des SED-Regimes in der „Zentralen Erfassungsstelle“ in Salzgitter dokumentieren. Ende der 80-er Jahre hielten die SPD-geführten Bundesländer die Erfassungsstelle für „unzeitgemäß“ und stellten die Zahlungen ein. Die Grünen bezeichneten das Gedenken an den 17. Juni als ein Relikt des Kalten Krieges und boykottierten nach ihrem Einzug in den Bundestag die jährlichen Gedenkstunden. Später hielten sie enge Verbindung zur DDR-Opposition. Jemand wie Hans-Dietrich Genscher, aus Halle stammend, wurde zur Ausnahme.

Nur am Rande sei die Linkspartei erwähnt, die lt. dem Eid ihres früheren Schatzmeisters „rechtsidentisch“ mit der SED ist. Sie entblödete sich nicht, Hans Modrow, der 16 Jahre lokaler SED-Diktator in Dresden war, zum Ehrenvorsitzenden zu wählen. Es war nur konsequent im Hinblick auf ihren wahren Charakter.

Die Geisteshaltung, die den 17. Juni weichspülte und den Freiheitsgedanken kleinredete, ähnelte der Geisteshaltung, die Putin schönzeichnet. Die Folgen kennen wir.

Henning Wagner
FDP Strohgäu

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.Erforderliche Felder sind mit * markiert